05.07.2022
Bodenschutz mit Rückenwind: AAV-Fachtagung beleuchtet Rechtsfragen aus Politik und Praxis
Rechtsfragen werden oft als eine formale und trockene Angelegenheit empfunden. Bei der jährlichen AAV-Fachtagung Recht ist das genau nicht der Fall. Sie widmet sich gezielt aktuellen Trends der Rechtsprechung und vor allem konkreten juristischen Fragen aus der Sanierungspraxis. Sanierungspflichtige und Sanierungsunternehmen, Umweltbehörden, Berater und Juristen wissen das zu schätzen. Auch in diesem Jahr kamen am 22. Juni etwa 180 Personen – nach zwei Jahren Corona-Pause wieder in Präsenz – zur Tagung „Aktuelle Rechtsfragen zu Altlasten- und Bodenschutzrecht“ ins Industriemuseum Henrichshütte Hattingen.
Politik für Grund und Boden
Altlastensanierung und Bodenschutz sind eng verwoben. Doch Boden steht bisher als einziges Umweltgut nicht unter europäischem Schutz. Die EU-Kommission hat daher im November 2021 eine Bodenstrategie vorgelegt und arbeitet an einem Entwurf für ein europäisches Bodengesundheitsgesetz. „Böden würden damit den gleichen Rechtsstatus erhalten wie Luft und Wasser,“ erläuterte Dr. Olaf Düwel, „und das völlig zu Recht.“ Düwel ist Bundesratsbeauftragter in der Soil Expert Group, in der die Mitgliedsstaaten Grundsatzfragen zu der geplanten Richtlinie diskutieren.
Für die Altlastensanierung von Bedeutung sind vor allem der geplante Bodenpass für die Verwertung von Bodenaushub und das Bodengesundheitszertifikat bei Grundstücksverkäufen. Außerdem soll es eine Prioritätenliste für Bodenschadstoffe geben. Insgesamt aber, so Düwel, sind die Pläne der EU-Kommission für Deutschland kein Grund zur Sorge. „Wir haben im Wesentlichen heute schon funktionierende Regelungen, die ganz ähnliche Ziele erfüllen.“
Mantelverordnung kommt
Am 1.8.2023 tritt die Mantelverordnung und damit die novellierte Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung in Kraft. Sie macht u. a. neue Vorgaben für Bodenuntersuchungen und führt verschärfte, aber auch neue Prüfwerte ein. Was bedeutet das für laufende oder kurzfristig geplante Untersuchungen, Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen?
„Die Mantelverordnung enthält keine Übergangsregelungen, sie ist also ab dem Stichtag gültig“, betonte Dr. Achim Willand, Rechtsanwalt in der Berliner Sozietät Gaßner, Groth, Siederer & Coll. „Trotzdem muss man nicht von vorne anfangen.“ Sicherung und Sanierung dürfen auch auf den Ergebnissen bereits abgeschlossener Untersuchungen durchgeführt werden, selbst wenn sie viele Jahre alt sind. Sind im Einzelfall bestimmte Prüfwerte entscheidend für Bewertung und Sanierungskonzept, kann die Behörde Nachuntersuchungen fordern, so Willand. Nachforderungen müssen aber verhältnismäßig und für die Gefahrenabwehr erforderlich sein.
Leitfaden gibt Orientierung bei PFAS-Belastungen
Ein Dauerbrenner in der Altlastendebatte der letzten Jahre sind PFAS. Die langlebigen und teilweise giftigen per- und polyfluorierten Alkylverbindungen sind nahezu überall in Böden nachweisbar. Umso dringender ist die Frage, wie und wo belastetes Bodenmaterial sicher verwertet werden kann. Eine Hilfestellung gibt der „Bundes-Leitfaden zur PFAS-Bewertung“, der im Februar veröffentlicht wurde. Im Kern benennt der Leitfaden Geringfügigkeitsschwellenwerte bzw. gesundheitliche Orientierungswerte für 13 verschiedene PFAS und ordnet die Verwertungsmöglichkeiten – je nach Belastung im Eluat – in drei Kategorien ein. „Sanierungspflichtige und Sanierungsunternehmen müssen sich mit dem Regelwerk auseinandersetzen“, konstatierte Gregor Franßen von der Kanzlei Franßen & Nusser Rechtsanwälte.
Um den Leitfaden innerbehördlich verbindlich zu machen, hat NRW im März einen entsprechenden Erlass verabschiedet. Zudem untersucht das Landesumweltamt NRW in einem laufenden Projekt derzeit die PFAS-Hintergrundbelastung auf Oberböden im ländlichen Raum. Die bisherigen Ergebnisse: Von 100 untersuchten Standorten lagen 80 Prozent in der einfachen Verwertungsklasse 1 und 15 Prozent in der Verwertungsklasse 2. Hochbelastete Böden waren bislang die Ausnahme.
Im Ermessen der Behörde….
Wie muss saniert werden und wer bezahlt dafür? Um diese zentrale Frage zu klären, sind Sanierungswillige und Sanierungspflichtige auf gute Kooperation mit Behörden angewiesen. Dabei liegt manches „im Ermessen“ der Behörde – ein gängiger Begriff, hinter dem aber ein komplexer Prozess steht. Das machte Prof. Dr. Andreas Henke von der Tiefenbacher Rechtsanwälte Partnerschaft, Dresden, deutlich: „Ermessen ist eine Technik der Entscheidungsfindung, bei der die umfängliche Ermittlung des Sachverhalts, eine fehlerfreie rechtliche Bewertung des Sachverhalts und die Gewichtung aller maßgeblichen Punkte im Mittelpunkt stehen.“ Verstößt die Behörde gegen einzelne Aspekte, beispielsweise, weil sie nicht alle potenziellen Schadensquellen oder nicht alle Rechtsnachfolger des Verursachers ermittelt hat, liegen Ermessenfehler vor und Streit ist programmiert.
Um Konflikten vorzubeugen und Klarheit für alle Beteiligten zu schaffen, empfiehlt sich häufig der Abschluss eines Sanierungsvertrags. Dr. Jens Nusser von Franßen & Nusser, sieht Vorteile im sogenannten Vergleichsvertrag. Das Prinzip dahinter: Durch „gegenseitiges Nachgeben“ werden Unklarheiten bei Fragen zur Sach- und Rechtslage eines definierten Schadensfalls beseitigt. Das bringt Vorteile für beide Seiten: Die Behörde hat eine vertraglich gesicherte Sanierungszusage, der Pflichtige zum Beispiel abgestimmte Sanierungsziele und schwarz auf weiß eine Freistellungsklausel bei Vertragserfüllung, gegebenenfalls sogar im Falle der Rechtsnachfolge.
Klarheit zu schaffen ist insbesondere dann schwierig, wenn von einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast Schadstofffahnen abdriften, womöglich abreißen und Nachbargrundstücke durchströmen oder deren Boden verunreinigen. „Grundwasser ist vom Grundstückseigentum des Einzelnen nicht umfasst, sondern unterliegt einem öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftungssystem“, betonte Volker Hoffmann von der Düsseldorfer Kanzlei Hoffmann Liebs. Wer haftet in solchen Fällen? Der Zustandsstörer, also Eigentümer, oder der Verursacher bzw. Gesamtrechtsnachfolger als Handlungsstörer? So manche abgedriftete Schadstofffahne landet vor Gericht und angesichts der gerichtlichen Entscheidungen, so Hoffmann, scheint es eine Tendenz in der Rechtsprechung zu geben: „Es gibt vor allem in jüngerer Zeit mehr gerichtliche Entscheidungen für die Zustandsstörerhaftung.“ Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend manifestiert und ob gegebenenfalls eine höchstrichterliche Entscheidung getroffen wird, die endgültig Klarheit schafft. (cf)
Ein ausführlicher Bericht von der Tagung erscheint in der Zeitschrift altlasten spektrum.