14.08.2024
Boden gut machen in der EU und öffentlich-rechtliche Sanierungsverträge
AAV-Fachtagung zum Altlasten- und Bodenschutzrecht 2024
Wann stehen welche Gesetzes-Änderungen im Bund und in der EU an – und wie lässt sich das bestehende Recht in Sachen Bodenschutz bestmöglich anwenden? Bei der alljährlichen AAV-Fachtagung zum Altlasten- und Bodenschutzrecht gaben sieben Expertinnen und Experten spannende Antworten – vom allgemeinen Überblick bis zu einer hochkomplexen Sanierung, die erst durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag möglich wurde.
„Die Bedeutung des Bodens wird immer präsenter in all seinen Funktionen, in seiner Bedeutung für den Klimaschutz, für die Biodiversität, aber auch die Ernährungssicherheit“, erklärte Silvia Strecker, Referatsleiterin für Bodenschutzrecht und Kreislaufwirtschaftsrecht im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Ministerialrätin informierte im Eröffnungsvortrag über die geplante Novellierung des 25 Jahre alten Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodschG), die erst in der kommenden Legislaturperiode erfolgen werde. Dazu gebe es daher nicht viel Neues. Auf EU-Ebene sei hingegen einiges in Bewegung.
Ursprünglich habe die EU-Bodenstrategie ein Gesetz zur Bodengesundheit vorgesehen, auf den Weg gebracht sei 2023 aber das Soil Monitoring Law. Mit dieser Richtlinie zur Boden-Überwachung „sollen zunächst die derzeitigen Wissenslücken über Böden reduziert werden.“ Eine erste Bestandsaufnahme sei erschütternd: 60 bis 70 Prozent der Böden in der gesamten EU sind in nicht gutem Zustand, 12,7 Prozent sind von mäßiger bis starker Erosion betroffen, so dass die landwirtschaftliche Produktion um 1,25 Mrd. Euro pro Jahr zurückgeht. Auch organische Substanz und biologische Vielfalt gehen verloren, mancherorts droht Versalzung, vielerorts der Eintrag von Schadstoffen. Zudem sei die fortschreitende Versiegelung in allen EU-Staaten ein Problem. Nicht zuletzt stellte man einen geschätzten Sanierungsbedarf für 390.000 industrielle Standorte fest.
Formuliertes Ziel der EU-Bodenstrategie sei ist die Schaffung gesunder und widerstandsfähiger Böden bis 2050, konkreter: ein Netto-Null-Flächenverbrauch, die Reduzierung der Boden-Verschmutzung auf ein für Mensch und Ökosysteme unschädliches Niveau, die nachhaltige Bewirtschaftung der Böden und die Widerherstellung geschädigter Böden.
Auf die geplanten Änderungen des BBodschG gab Silvia Strecker einen kurzen Ausblick: Neben der bisher starken Ausrichtung auf Gefahrenabwehr solle die Vorsorge gestärkt werden. Zudem solle die Subsidiarität weitgehend aufgehoben werden. Bislang sind Bestimmungen zum Bodenschutz allzu oft anderen Gesetzen und Regelungen untergeordnet.
Weitere Gründe dafür, dass die Novellierung „wünschenswert, ja sogar dringend nötig ist“, nannte Dr. Joachim Hagmann. Der Vortrag des Fachanwalts für Verwaltungsrecht zum Thema „25 Jahre Bundes-Bodenschutz-Gesetz“ hatte den beredten Untertitel „25 Jahre Ordnungsverfügungen in der Kritik“. Zu diesen behördlichen Verfügungen gebe es mittlerweile knapp 900 Gerichtsentscheidungen. „Es ist aber nicht nur die schiere Zahl, die die Behörden umtreibt.“ Wie alle Umweltschutzgesetze weise das BBodschG enge naturwissenschaftliche Bezüge auf. „Und Natur- und Rechtswissenschaften gelten nicht gerade als Disziplinen, die von Natur aus gut miteinander harmonieren.“
Das Gesetz habe Lücken und lasse Fragen offen, die durch Verfügungen der Behörden ausgeglichen werden müssen. Die Herausforderung dabei: „Behörden haben in ihrem Verwaltungsvollzug komplizierte Fragen zu beantworten, müssen zum Beispiel naturwissenschaftliche Zusammenhänge durchdringen.“ Soweit der Gesetzgeber mit konkretisierenden Regelungen nicht weiterhilft, müssen sie Entscheidungen selbst treffen und in Ordnungsverfügungen niederlegen. Sie müssen zudem damit rechnen, dass die Entscheidungen im Anschluss vor Gericht kontrolliert werden, weil sie in der Regel einen belastenden Charakter haben, wenn sie zum Beispiel die Durchführung von Sanierungs-Untersuchungen oder -Maßnahmen anordnen.
„Gerichte müssen dann nur das Haar in der Suppe finden, so es denn eins gibt. Sie müssen niemandem erklären, wie man die Suppe kocht. Sie müssen nicht erklären, wie man es richtig macht, sie müssen nur entscheiden, was im konkreten Fall schief gelaufen ist.“
Ganz vermeiden ließen sich solche gerichtlichen Klärungen auch durch die Novellierungen des BBodschG nicht, so Dr. Hagmann, da „der Gesetzgeber nicht alle Probleme lösen kann. Es ist nicht immer möglich, naturwissenschaftliche Zusammenhänge – komplizierte noch dazu – in unser rechtliches Normengefüge zu überführen. Es werden Unsicherheiten verbleiben, mit denen alle Beteiligten umgehen müssen.“ Zum Beispiel mit Hilfe eines öffentlich-rechtlichen Vertrags. Dieser erlaube – anders als eine Verfügung – maßgeschneiderte, flexiblere Lösungen. „Immer dort, wo nicht mehr über das Ob einer Sanierung verhandelt wird, sondern nur noch über das Wie, kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag sinnvoll sein.“
Bereits im August 2023 in Kraft getreten ist die Ersatzbaustoffverordnung, die vor allem dieses Ziel hat: bundeseinheitliche Regelungen für den Einbau mehr oder weniger belasteter Materialien in technische Bauwerke zu schaffen. „Mir kommen die 16 Bundesländer inzwischen vor wie ein Flohzirkus, den man nicht im Zaum halten kann“, so Rechtsanwalt Gregor Franßen in seinem Vortrag dazu. „Der Text der Verordnung ist leider nicht gut, deshalb stellten sich zwangsläufig Fragen zur Auslegung.“ So konnten sich die Länder Vollzugsfreiheiten nehmen und eigene Verwaltungsvorschriften erlassen, so dass es nun doch wieder einen unübersichtlichen Flickenteppich gebe.
Im Kern geht es um technische Bauwerke, die mit dem Boden verbunden sind, also zum Beispiel Deiche, oder Sicht- und Lärmschutzwälle. Die Verordnung listet 44 unterschiedliche technische Einbauweisen und Grenzwerte für zahlreiche Schadstoffe auf. Wie und wo welches Material eingebaut werden darf, hängt unter anderem von der Bodenart ab, davon, ob das Bauwerk in einem Trinkwasserschutzgebiet errichtet wird oder vom maximal zu erwartenden Grundwasserstand.
Dieser maximal zu erwartende Grundwasserstand – und seine rechtliche Bedeutung unter anderem für Deponien oder sanierte Altlasten – stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Till Elgeti. Für einen Anstieg des Grundwassers könne es zahlreiche Gründe geben, so der Fachanwalt für Verwaltungsrecht: ungewöhnlich viel Regen, die Veränderung der Sohllage eines Flusses, wie bei der Emscher-Renaturierung, das Einstellen der Trinkwassergewinnung oder das nahende Ende des Braunkohletagebaus. Mit letzterem ist unter anderem auch das Ende der Sümpfung verbunden, so dass der Grundwasserspiegel wieder auf das vorbergbauliche Niveau steigen wird.
Wie schnell, wo und in welchem Maße – das untersuchte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) im Auftrag der Landesregierung. „Das erfolgte sehr frühzeitig“, so Dr. Elgeti. „Die möglichen Probleme werden erst in etlichen Jahren auftreten, so dass Zeit bleibt für Prüfungen im Detail.“ Die Mittel für entsprechende Untersuchungen stelle das Land zur Verfügung.
Wer für mögliche Schäden, die durch den Grundwasseranstieg entstehen, in die Pflicht genommen werden kann, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Hebungen und Senkungen des Bodens, die durch den Anstieg entstehen und Schäden verursachen, können als Bergschäden gelten, für die der Bergbautreibende aufkommen muss. Kommt aber eine Altlast mit dem steigenden Grundwasser in Kontakt, so dass Schadstoffe mobilisiert werden, stünden Verursacher der schädlichen Bodenveränderung und dessen Rechtsnachfolger in der Pflicht. Auch der aktuelle oder frühere Eigentümer oder der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück kämen laut BBodschG als Pflichtige in Betracht.
„Störerauswahl“ nennt sich dieser Vorgang, mit dem die zuständige Behörde eine, manchmal auch mehrere Personen, in die Pflicht nimmt, für Untersuchung und Sanierung einer Altlast zu zahlen. Nach welchen Kriterien – dazu trug Rechtsanwalt Volker Hoffmann vor. Neben dem Verursacher und seinen Erben bzw. Rechtsnachfolgern kommen dafür laut BBodschG der Grundstückseigentümer, Mieter oder Nutzer der Fläche aber auch frühere Eigentümer in Frage. Dabei gebe es keine Rangfolge, auch erfolge die Störerauswahl verschuldensunabhängig und „Gerechtigkeitserwägungen spielen kaum eine Rolle“, so der Umwelt- und Verwaltungsrechtler. „Entscheidend ist das Gebot der Effektivität der Gefahrenabwehr. Wer kann dem Schaden am sichersten und besten begegnen im Interesse der Allgemeinheit.“ Schließlich bringe es nichts, jemanden auszuwählen, der die Sanierungsuntersuchungen und Maßnahmen ohnedies nicht finanzieren könne.
Das A und O dabei sei die ordentliche und umfassende Sachverhaltsaufklärung und Prüfung der Rechtslage. Als Beispiel nannte Volker Hoffmann eine Tankstelle, die seit den 1950er Jahren von unterschiedlichen Pächtern betrieben wurde. Einer davon kann vollumfänglich in Anspruch genommen werden, wenn sein Verursachungsanteil objektiv feststeht und wenn dieser Anteil so wesentlich ist, dass er für sich genommen sanierungsbedürftig ist.
Ähnlich kann die jeweilige Behörde vorgehen, wenn es eine Erbengemeinschaft gibt: Ein einzelner davon kann für die gesamte Maßnahme in die Pflicht genommen werden.
Dieser einzelne hätte dann freilich einen Ausgleichsanspruch an die übrigen Erben. Zu diesem „zivilrechtlichen Fremdkörper“ im BBodschG referierte Dr. Thomas Gerold. Aus Gründen der Schnelligkeit und Effektivität der Gefahrenabwehr zögen Behörden in aller Regel vorrangig den Zustandsstörer heran – also denjenigen, der aktuell das belastete Grundstück nutzt und zum Beispiel durch eine Baumaßnahme den Zustand des Bodens stört. „Deshalb blieben Grundstückseigentümer oft auf der Sanierungspflicht hängen“, so der Rechtsanwalt.
Klassischerweise versuche dann der Zustandsstörer seinen Ausgleichsanspruch gegen den Handlungsstörer, also den Verursacher, durchzusetzen. Auch zahlreiche andere Konstellationen kommen in der Praxis vor. Bodenschutzrechtlich Verpflichtete können zum Beispiel auch Erben, frühere Grundstückeigentümer oder Mitverursacher sein. Jeder davon kann unabhängig von einer Heranziehung durch die Behörde zum Ausgleich verpflichtet sein. Ausgleichsansprüche verjähren nach drei Jahren. „Allerdings beginnt diese Frist erst nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen. Es bleibt also in der Regel genügend Zeit.“
Dass die Störerauswahl für Behörden in der Praxis nicht so einfach ist, wie es klingen mag, führte der Vortrag von Dr. Walter Potthast vor Augen. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht schilderte einen Fall, in dem er eines der Beteiligten Unternehmen vertrat.
In einem Jahrhunderte alten Industriegebiet einer norddeutschen Großstadt produzierten drei benachbarte Chemie-Unternehmen mit ähnlichen Stoffen vergleichbare Produkte. Bereits in den 1980er Jahren stellte die Behörde erhebliche Kontaminationen von Boden- und Grundwasser fest. „Da die Schadstofffahnen in dem dicht bebauten Gebiet sehr weit ausgebreitet waren, ließ sich der Ursprung nicht ermitteln“, so Dr. Potthast.
Da es zudem im Laufe der Jahre wiederholte Eigentümerwechsel und Abspaltungen gab, stieß die Behörde an ihre Grenzen. Denn jeder, der in Anspruch genommen werden sollte, kündigte an, gerichtlich dagegen vorgehen zu wollen. Das barg erhebliche Risiken – vor allem da sich die Zuordnung der Schadstoffe nicht gerichtsfest hätte nachweisen lassen.
Deshalb verließ man den Weg der hoheitlichen Anordnung und handelte öffentlich-rechtliche Verträge aus. Einen über weitergehende Untersuchungen mit allen drei Unternehmen, der Regelungen zur Kostenaufteilung, zur gutachterlichen Begleitung und – das war für die Behörde besonders wichtig – eine Vollstreckungsunterwerfung der Betriebe enthielt.
Die Sanierung wurde 2013 in weiteren Verträgen mit den einzelnen Pflichtigen geregelt. Sie enthielten neben dem abgestimmten Sanierungskonzept eine Festlegung des Sanierungsendes, Zielwerte und einen Höchstbetrag, den die Unternehmen maximal für die Maßnahmen aufbringen mussten. Vor allem letzteres habe einen hohen Reiz gehabt, da die Maßnahmen nun planbar wurden und entsprechende Beträge zurückgestellt werden konnten.
„Gerade in Gemengelagen wie diesen, in denen nicht alle Fragen zum Sachverhalt und zur Rechtslage eindeutig geklärt werden können, ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vorzugswürdig“, so Dr. Potthast.