Störfeuer vor der Sanierung: AAV-Fachtagung „Aktuelle Rechtsprobleme“ widmet sich zentralen Fragen zur Störerauswahl

Wer haftet für den Schaden? Wer zahlt die notwendige Sicherung oder Sanierung der Altlast zur Gefahrenabwehr? Wie teilt sich die Verantwortlichkeit auf frühere und heutige Rechtsnachfolger auf? Fragen, auf die es in der digitalen Fachtagung Antworten gab

 

 

von Christa Friedl, Wissenschaftsjournalistin

 

Eine Altlast – das sagt schon der klare, kurze Begriff – ist eine schädliche Verunreinigung von Boden und Grundwasser, deren Ursachen in der Vergangenheit liegen. Diese Vergangenheit kann 20 Jahre, aber auch 100 Jahre zurückreichen. Verursacher von Altlasten können private oder öffentlich-rechtliche Eigentümer, Kleinbetriebe oder große international agierende Konzerne sein. Im Laufe der Zeit haben Eigentümer, Besitzer oder Pächter gewechselt, Grundstücke wurden vererbt oder beispielsweise durch Firmenfusionen in ihren Grenzen verändert.

Und immer müssen die zuständigen Bodenschutzbehörden schwerwiegende Entscheidungen treffen: Wer haftet für den Schaden? Wer zahlt die notwendige Sicherung oder Sanierung der Altlast zur Gefahrenabwehr? Wie teilt sich die Verantwortlichkeit auf frühere und heutige Rechtsnachfolger auf? „Das sind auch nach vielen Jahren Sanierungspraxis immer noch heiße Eisen, an denen sich viel Streit entzündet und die zu zahlreichen Klagen vor Gericht führen“, sagt Nikolaus Söntgerath, Leiter des Bereichs Recht und Personal beim AAV - Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung. Gute Gründe also, die diesjährige Rechtstagung exakt diesen Fragen zu widmen. Zur Veranstaltung „Aktuelle Rechtsprobleme bei der Altlastenbearbeitung“ hat der AAV drei erfahrene Anwälte als Referenten eingeladen, um mehr Klarheit rund um Störerhaftung und Störerauswahl zu schaffen. Über 230 Interessierte nahmen an der Online-Tagung am 28. April teil.

Störerauswahl im Ermessen der Behörde

Die Störerauswahl ist eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde und sie orientiert sich ganz wesentlich an der Effektivität der Gefahrenabwehr, stellte Volker Hoffmann, Umweltrechtsexperte in der Düsseldorfer Kanzlei Hoffmann Liebs, klar. „Bei Altlasten muss schnell gehandelt werden, daher ist entscheidend, welche der bodenschutzrechtlich Verpflichteten am effektivsten der ausgehenden Gefahr begegnen können.“

Das Bundesbodenschutzgesetz legt dafür im § 4 Abs. 3 allerdings keine Rangfolge fest: Der derzeitige Eigentümer oder Grundstücksnutzer (Zustandsstörer) haftet nicht automatisch vorrangig gegenüber einem früheren und – eventuell schwer zu ermittelnden – Handlungsstörer. Es gibt keinen Vorrang des Eigentümers gegenüber einem Mieter oder Pächter. Innerhalb einer Gruppe von Zustandsstörern sind alle gleichrangig verantwortlich. Das tatsächliche Verschulden oder die Kenntnis von der Verunreinigung spielen im Grundsatz keine Rolle. „Die Behörde muss in jedem Fall den Sachverhalt erschöpfend darstellen und alle potenziellen Störer in Betracht ziehen“, konstatiert Hoffmann. Das heißt: Der Blick ins Grundbuch reicht nicht aus und die Beweislast trägt stets die Behörde. Auch bei der Abwägung zwischen bloßen Sicherungsmaßnahmen oder einer umfassenden Sanierung markiert das Gesetz keinen Vorrang. Auch hier ist die nutzungsbezogene Gefahrenabwehr alleiniger Maßstab.

Das macht die Sache für Behörden nicht einfacher. „Fragen zur Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers in Altlastenfällen bereiten regelmäßig große Schwierigkeiten“, weiß Dr. Thomas Gerhold, Rechtsanwalt der Kölner Kanzlei avocado rechtsanwälte. Bei der Gesamtrechtsnachfolge gehen sämtliche Rechtsverhältnisse – Vermögen, Schulden, digitales Erbe – auf den oder die Rechtnachfolger über, im Zweifelsfall also auch ein mit Schadstoffen belasteter Grund und Boden. Das kann durch einfaches Vererben geschehen, aber auch durch Umwandlung und Spaltung eines Unternehmens. Für Juristen stellt sich da eine Reihe von Fragen: Gibt es im Altlastenfall zeitliche oder wirtschaftliche Grenzen für die Heranziehung des Gesamtrechtsnachfolgers? Sind Erben für einen vor langer Zeit entstandenen Schaden rückwirkend noch haftbar zu machen? Wer kann herangezogen werden, wenn der ursprüngliche Betrieb aufgespalten wurde?

Wer hat recht: BGH oder BVerwG?

Selbst die höchsten Richter urteilen unterschiedlich. Der Bundesgerichtshof entschied 2016, dass der §4 Abs. 3 BBodSchG, der die Verantwortlichen für eine Sanierung nennt, nicht für eine 90 Jahre zurückliegende Kontamination Gültigkeit haben kann: Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren weder Umweltverschmutzungen noch Haftungsfragen bei Bodenverunreinigungen überhaupt ein Thema. Das Bundesverwaltungsgericht beschied dagegen 2006, dass die Sanierungspflicht des Gesamtrechtsnachfolgers nicht gegen das grundsätzliche Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt – auch nicht für die Zeit vor Inkrafttreten des Bundesbodenschutzgesetzes im Jahr 1999. Denn eine Gesamtrechtsnachfolge im öffentlichen Recht habe es schon immer gegeben.  „Daraus ergibt sich ein Widerspruch, der beispielsweise bei einem Ausgleichsanspruch zu großen Friktionen führen kann,“ betont Gerhold. Man müsse also genau prüfen, wann sich ein Schadensfall ereignet hat. Kritisch sind laut Gerhold alle Fälle vor den 1970er Jahren. „Das ist und bleibt unsicherer Grund.“

Unsicherer Grund ist auch das Thema, bis zu welcher Höhe ein Erbe und Gesamtrechtsnachfolger haftet. Denn Altlastensanierung kann kostspielig sein – insbesondere dann, wenn eine Fläche großräumig kontaminiert ist oder verunreinigter Boden mit Wohnungen überbaut wurde. Das Bodenschutzrecht regelt diese Frage nicht. Nicht zuletzt sind gerichtliche Entscheidungen auch zur Haftung von Erben erster, zweiter oder dritter Generation widersprüchlich. Was ist noch verhältnismäßig? „Die Enkel eines ehemaligen Galvanikmeisters können ja schwerlich mit ihrem gesamten Vermögen für die Sanierung eines Grundstücks herangezogen werden“, sagt Gerold.

Besser als Streit: der Vergleichsvertrag

Behörden nehmen oft denjenigen in Anspruch, der die beste Gewähr für eine schnelle und wirksame Gefahrbeseitigung bietet - in der Regel der einfach zu ermittelnde aktuelle Eigentümer. Die Behördenpraxis folgt zudem dem Grundsatz, dass der Verkehrswert nach der Grundstückssanierung entscheidend ist für eine Haftungsbeschränkung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Beschluss im Jahr 2000 allerdings klargestellt, dass die oft praktizierte, unbegrenzte Inanspruchnahme des gegenwärtigen Eigentümers eines Altlastengrundstückes verfassungsrechtlichen Grenzen unterliegt und in der unbeschränkten Form keinen Bestand hat.

Eine Grenze der Sanierungskosten unter dem Verkehrswert gilt laut BVerfG für Fälle, in denen der Schaden durch Dritte oder Naturereignisse entstand, für die der Zustandsstörer nichts kann. Auch ein Grundstück mit einem vom Eigentümer bewohnten Haus kann geringer belastet werden. Wer dagegen das Risiko der Gefahr für das Grundstück bewusst in Kauf genommen oder in fahrlässiger Weise die Augen verschlossen hat, haftet über dem Verkehrswert, erläutert Dr. Hellmuth Mohr von der Stuttgarter Kanzlei Wesch & Buchenroth. „Allerdings gibt es zum Thema Wertermittlung bislang kein praktikables Modell“, so Mohr.

Einig waren sich die Experten bei der AAV-Tagung darin, dass ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag viel Ärger und Zeit für alle Beteiligten sparen kann.  Ein solcher Vertrag hat mehrere Vorteile: Der Sanierungspflichtige kann seine Interessen einbringen, die oft schwierige Beweisführung der Verantwortlichkeiten entfällt, ein Vertrag führt schneller zum Ziel als behördliche Anordnungen und vermeidet langwierige und teure Rechtsstreitigkeiten. „Wie immer bei einer Sanierung kommt es auch bei Fragen zur Störerhaftung und Störerauswahl stark auf den Einzelfall an“, betont Söntgerath. Daher steht der AAV für seine Mitglieder stets bereit, um zu beraten, zu moderieren und im konkreten Streitfall einen Interessensausgleich zu ermöglichen. (cf)

Ein ausführlicher Bericht von der Tagung erscheint in der Zeitschrift altlasten spektrum

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