AAV-Fachtagung „Boden und Grundwasser“ wieder in voller Präsenz - Neuentwicklungen in der Gesetzgebung und Erfolge aus der Praxis

 

Altlastensanierung ist so gut wie immer eine technische und logistische Herausforderung. Entscheidend für den Erfolg sind aber oft auch Transparenz und Aufklärung: Das wurde bei der Fachtagung „Boden und Grundwasser“ des AAV Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung am 26. Januar in Hattingen deutlich. Rund 270 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten die Gelegenheit zum – endlich wieder unbeschränkten - persönlichen Erfahrungsaustausch.

Viel Bewegung im Bodenschutz

Altlastensanierung und revitalisierte Flächen sind seit Jahrzehnten das Ziel der Arbeit des AAV. Den hohen Wert gesunder Böden hat aber auch die EU erkannt. Noch in diesem Jahr soll ein Vorschlag für ein neues EU-Bodengesundheitsgesetz vorliegen. „Die beteiligten Gremien arbeiten daran mit Hochdruck“, betonte auf der Fachtagung Prof. Dr. Jens Utermann vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW. Bereits Anfang Juni will die Kommission dem EU-Umweltrat einen Entwurf präsentieren.  

Eine Arbeitsgruppe der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz (LABO) beobachtet die Arbeiten in Brüssel genau. „Für Deutschland“, sagt Utermann, „wird es im Vollzug keine gravierenden Änderungen geben“. Allerdings sind erheblich ausgeweitete Berichtspflichten vorgesehen. Wie genau einzelne Punkte des EU-Gesetzes ausgestaltet werden, ist noch offen. Unklar ist bislang auch, welche Freiheiten den einzelnen Mitgliedsstaaten im Rahmen einer europäischen Bodenschutzgesetzgebung erhalten bleiben.

Längere Schatten auf die tatsächliche Praxis wirft derzeit die Mantelverordnung (MV). Sie regelt ab August Verwertung und Einbau von Recyclingbaustoffen und Bodenmaterial, Analytik und Klassifizierung, Dokumentations- und Anzeigepflichten. Insbesondere für Verfüllungen und Abgrabungen ist der Zeitpunkt der Genehmigung von großer Bedeutung: Wurde sie vor Verkündung der Mantelverordnung im Juli 2021 erteilt, gelten die alten Vorgaben, spätere Genehmigungen müssen schon  ab August 2023 die MV erfüllen.

PFAS: Verbreitung über die Luft

Eng mit der MV verknüpft ist die Debatte um die Sanierung von Böden, die mit Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) belastet sind. PFAS werden erstmals durch die MV bzw. die neue Bundes-Bodenschutzverordnung in die Parameterliste für den Wirkungspfad Boden-Grundwasser aufgenommen. Problem: Bislang existieren weder Vorsorgewerte noch Feststoffwerte, die die tatsächliche Umweltbelastung mit diesen persistenten Schadstoffen wiederspiegeln.

Daher hat das Landesumweltamt NRW (LANUV) seit 2021 über 300 Bodenproben von Acker-, Grünland- und Waldflächen analysiert. Bisherige Auswertungen zeigen, dass PFAS nahezu überall im Oberboden gefunden werden. „Es gibt also eindeutig den Eintrag über den Luftpfad“, konstatiert Untermann. Die Belastung in Ackerböden ist häufig auf Pestizide zurückzuführen, die PFAS-Vorläufersubstanzen enthalten

Wie viele Brachen dürfen es denn sein?

Wenn es um Boden und Fläche geht, ist Sanierung nur die halbe Miete. „Auch die Brachflächen in den Kommunen bergen ein großes Potenzial für eine Neunutzung“, betont Dr. Philipp Roth, Dezernent für Bodenschutz beim LANUV. Insbesondere, weil der Druck auf die Fläche in NRW weiter steigt. Alles braucht Platz: der Wohnungsbau, die Windenergie, die Landwirtschaft, der Artenschutz. Das lenkt den Blick auf brach liegende Flächen, die aufbereitet und somit dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt werden können.

Doch viele Kommunen haben keinen aktuellen Überblick über ihre Brachen und das Potenzial, das hier schlummert. Das LANUV NRW führt daher auf Basis von Luftbildern derzeit eine landesweite Brachflächenerfassung durch, die die Kommunen unterstützen soll. Bislang ist der südliche Teil der Landesfläche kartiert und ausgewertet. Laut Roth wurden bisher 4200 Flächen „gefunden“. Sie umfassen eine Gesamtgröße von 3400 Hektar, das entspricht etwa der Hälfte der Stadtfläche von Hattingen, dem Sitz des AAV. Besonders interessante Brachen sind stillgelegte Industrieflächen und ehemalige Militärstandorte, die zum einen zahlreich, zum anderen auch groß genug sind für eine wirtschaftlich oder ökologisch attraktive Neunutzung.

Vorsicht Kampfmittel

Wer in NRW baut, stößt nicht nur auf Gestein oder alte Rohre und Leitungen, sondern möglicherweise auch auf Spuren des letzten Weltkriegs. „2021 wurden in NRW einhundert Tonnen Kampfmittel aus dem Boden geholt“, resümiert Armin Gebhard, Referent im Bereich Kampfmittelbeseitigung des NRW-Innenministeriums. Kampfmittelbeseitigung gehört zur Gefahrenabwehr und liegt in der Verantwortung der kommunalen Ordnungsbehörden. Sie werden bei ihrer Arbeit durch die Kampfmittelbeseitigungsdienste in Düsseldorf und Arnsberg unterstützt.

Werden Kampfmittel gefunden, bedeutet das in aller Regel einen Stopp aller Arbeiten. Durch die Änderung der NRW-Kampfmittelverordnung im Juni 2022 allerdings wurde der Handlungsspielraum für Bauherren etwas erweitert. Bohrlochdetektion und die sogenannte baubegleitende Räumung können seither vom Bauherrn selbständig beauftragt werden.

„Die baubegleitende Räumung ist eine Art Notlösung, damit Baustellen weiterlaufen und die Kosten durch Stillstand nicht unverhältnismäßig steigen“, sagt Martin Kötter vom Institut für angewandte Hydrogeologie. Bei vielen Baustellen in NRW ist eine flächendeckende Detektion im Vorfeld zudem nicht verhältnismäßig, das gilt insbesondere im von Bombardierung stark betroffenen Ruhrgebiet mit seiner dichten technischen Infrastruktur im Boden.

Sanierung auf engstem Raum

Jede Altlast ist mehr oder weniger eine technische und organisatorische Herausforderung. Besonders heikel wird es bei einer Sanierung nahe oder sogar unter enger Wohnbebauung, wo eigentlich kein Platz für Gerät, Maschinen und Reinigungsanlagen ist und wo Anwohner von der Maßnahme erst überzeugt werden müssen. Entscheidend für den Erfolg ist hier nicht nur die Wahl der richtigen Sanierungsverfahren, sondern in gleichem Maße eine sachliche fundierte und überzeugende Öffentlichkeitsarbeit. Wie das dem AAV trotz aller Schwierigkeiten gelingt, zeigen mehrere, auf der Fachtagung präsentierte Beispiele.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der Fall Lemgo. Seit 2019 saniert der AAV in der historischen Altstadt einen großen Schaden durch leichtflüchtige, chlorierte Kohlenwasserstoffe (LCKW), den eine ehemalige chemische Reinigung verursacht hat. Etwa 2,5 Tonnen LCKW haben sich hier in Boden, Grundwasser und Bodenluft ausgebreitet. In der ersten Phase der Sanierung entfernten Großlochbohrer rund 5000 t belasteten Boden aus bis zu sieben Metern Tiefe. Tiefer liegende Bodenschichten sollen durch in-situ chemische Oxidation gereinigt werden. Außerdem ist eine mikrobiologische Sanierung unter Teilen des alten Wallkanals geplant.

Um den Schaden sichtbar zu machen, wurde mit MIP-Sonde, Gaschromatografie und Massenspektroskopie eine hochauflösende Standorterkundung der LCKW-Fahne durchgeführt. „Diese moderne Technik erlaubt eine tiefenspezifische Messung von Einzelkomponenten und damit einer sehr präzise räumliche Darstellung der tief liegenden Verunreinigungen“, erläutert Andreas Christ, Projektleiter bei Arcadis Germany GmbH.

Überzeugungsarbeit lohnt!

Viel Aufwand bedeutet dieses Projekt nicht nur für die Reinigung von Boden und Grundwasser, sondern auch für die notwendige Öffentlichkeitsarbeit. Gemeinsam mit dem Kreis Lippe und der Stadt Lemgo informierte der AAV Anwohner und Öffentlichkeit „auf allen Kanälen“. Bereits im Vorfeld der Arbeiten wurde eine Projekthomepage erstellt, große und leicht verständliche Infotafeln am Bauzaun erläuterten die laufenden Maßnahmen. Über Info-Termine wurden Anwohner über den Stand der Arbeiten unterrichtet. Ein Baubüro mit regelmäßigen Sprechzeiten war offen für alle Fragen rund um die Sanierung. „Indem wir überzeugend darstellen, wie notwendig und wie wirksam die Maßnahmen sind, gewinnen wir die Anwohner für unsere Sache“ sagt Dr. Beatrix Haglauer-Ruppel, Leiterin Technik beim AAV.

Diese Erfahrung machten die Verantwortlichen auch bei Projekten im Kreis Euskirchen und in Duisburg. In Mechernich und Kall saniert der AAV 52 Kinderspielplätze, deren Boden mit Blei belastet ist, denn im Kreis liegt die größte Bleierzlagerstätte Europas. Im Duisburger Süden sind es 260 Wohngärten, die vor allem mit Schwermetallen belastet waren. „Das Ganze war wegen der engen Bebauung und der vielen Betroffenen sehr komplex und musste genau erklärt werden, damit die Emotionen nicht hochgingen“, betont AAV-Projektleiterin Christiane Maxin. Daher wurde in Duisburg u.a. eine Bürgerarbeitsgruppe gegründet, die in die Sanierungsplanung eingebunden war. Am Ende lohnt alle Überzeugungsarbeit. Es ab zwar oft einen hohen Abstimmungsaufwand mit den Eigentümern, sagt Maxin, „aber dann doch eine hohe Bereitschaft zur Mitarbeit.“

Urban Mining als Beitrag zur Ressourcenschonung

Nicht nur Sanierung und Flächenrecycling, sondern auch die Kartierung „anthropogener Materiallager“ kann zur Ressourcenschonung beitragen. Die vom Menschen geschaffenen Materiallager im Hoch- und Tiefbau zusammen mit langlebigen Gütern haben sich innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfacht: von rund 5,5 Milliarden Tonnen im Jahr 1960 auf 37 Milliarden Tonnen 2021. „Eine systematische Bewirtschaftung dieser Sekundärressourcen bedarf allerdings einer umfassenden und genauen Wissensgrundlage“, sagt Celestin Julian Stretz vom Institut für Infrastruktur (IWARU) der Fachhochschule Münster. Urban mining braucht u.a. Modelle zur Kartierung, Massen- und Stoffstromberechnungen und umfangreiche Analysen von Materialdaten und Bauverfahren.

Das IWARU beschäftigt sich im Rahmen eines Forschungsprojekts insbesondere mit dem Bestand für die Bereiche Gebäude, Straßen und Wege und der Abwasserinfrastruktur auf Quartiersebene. Daraus soll ein bundesweit übertragbares Modell zur Abbildung spezifischer kommunaler Materiallager im Hoch- und Tiefbau sowie deren zeitlicher Veränderung entstehen. Das Wissen über bereits verbaute und vorhandene Materialien und Stoffe schont nicht nur die Vorkommen von Primärressourcen, sondern erleichtert auch das Flächenrecycling und bringt laut Stretz „ein integrales und vorausschauendes Stoffstrommanagement“ voran.

Autorin: Christa Friedl, Wissenschaftsjournalistin

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